Das Leben ist immer lebenswert
VertrauTier hat ein großes Abenteuer erlebt.
Wir konnten mit vielen fleißigen Helfern eine Schafherde aus 26 Tieren vor dem Tod bewahren.
lh Bad Berleburg/Willingen. „Die Aktion war für uns alle ein richtiger Kraftakt- sowohl die Helfer als auch die Schafe sind noch müde, aber alle sind sehr glücklich mit dem Ausgang dieser Geschichte“, beginnt Nina Schönrock, Gründerin des tiergestützten Therapiezentrums „VertrauTier“ aus Willingen im Upland das Gespräch. Über eine Bekannte, die von der Schafherde in Not erfahren hatte, erreichte sie der Hilferuf, dass in Bad Berleburg ein Bauer krankheitsbedingt innerhalb von nur vierzehn Tagen seine vollständige Schafherde abgeben müsse. Die Herde zählte insgesamt 26 Tiere und bestand aus einem älteren Zuchtbock, mehreren jungen Böcken, teilweise noch tragenden Muttertieren und einigen Lämmern. Für die Tierschützerin und gelernte Ergotherapeutin war klar, dass die Tiere dringend Hilfe benötigten und schnellstmöglich vermittelt werden mussten. Für das Therapiezentrum stellte der Weg von Willingen nach Bad Berleburg keinesfalls eine weite Entfernung dar, verglichen mit den weitläufigen Notfällen, die regelmäßig von weiter entfernten Orten abgesetzt werden.
Gemeinsam mit ihrem ehemaligen Ausbildungszentrum und langjährigem Kooperationspartner, dem Institut für soziales Lernen mit Tieren in Lindwedel in der Wedemark bei Hannover, leitete sie eine notfallmäßige Rettungsaktion der 26 Schafe ein und vermittelte die Nutztiere an Lebenshöfe und Tierschutzeinrichtungen. Wie kompliziert und verworren die Situation tatsächlich war, stellte sich erst bei der Anreise der Tierschützer und Helfer heraus: „Bei dem ersten Anruf meiner Bekannten wurden wir nur darum gebeten, das Flaschenlamm Lilli zu retten“, erinnert sich Nina Schönrock an den Beginn der Aktion. Wenige Tage später wurde die Rettung auf Lamm „Lilli“ und drei weitere Schafe ausgeweitet. Als die weitere Bitte kam, auch ein blindes Lamm zu retten, trafen Nina Schönrock und einige Helfer nur wenige Minuten nach dem Schlachter ein, der „Stevie Wonder“, den Namen bekam das Lamm nach seiner erfolgreichen Rettung, bereits einladen und wegbringen wollte. Vor Ort mussten die Tierschützer feststellen, dass es sich bei der Herde um insgesamt 26 Tiere handelte, die sich teilweise in sehr schlechtem Zustand befanden und ebenfalls Hilfe benötigten. Am 3. April startete das Therapiezentrum einen öffentlichen Aufruf, dass dringend Abnehmer für die Tiere gesucht werden. Zu diesem Zeitpunkt war bereits klar, dass die Alternative zur Rettung und Weitervermittlung nur noch in der Schlachtung der Tiere bestanden hätte.
Durch zahlreiche enge Kontakte des Therapiezentrums zu Lebenshöfen und Tierschutzzentren in ganz Deutschland, fanden sich wortwörtlich „in letzter Minute“ noch ausreichend viele Abnehmer und freie Plätze, um die Schafe sicher unterbringen zu können. Am vergangenen Freitag erfolgte der „Rundumschlag“, bei dem alle Tiere abgeholt wurden. Insgesamt drei Schafe, ein Muttertier mit zwei Lämmern, gingen nach Warendorf in eine Lebensstellung. Fünf Schafe durften nach Willingen umziehen und bleiben im Therapiezentrum „VertrauTier“ von Nina Schönrock, um zu Therapieschafen ausgebildet zu werden. „Stevie Wonder“, das blinde Lämmchen, konnte ebenfalls zusammen mit seiner lungenkranken Mutter in Willingen bleiben und bekommt trotz seiner körperlichen Behinderung nach dem „Aufpäppeln“ eine spezielle Ausbildung zum Therapieschaf, um später traumatisierten Kindern und Jugendlichen auf ihrem Weg zu helfen und sie zu therapieren. Hier schließt sich der Kreis: ehemalige Tierschutz-Tiere fassen neues Vertrauen und übertragen es an traumatisierte Kinder und Jugendliche, die wiederrum für das Thema Tiere und deren Notlagen sensibilisiert werden. Die übrigen Schafe konnten vorübergehend im Institut für soziales Lernen mit Tieren in Lindwedel bei Hannover unterkommen und werden teilweise noch weitervermittelt.
Auch der Verein „tierisch helfen e.V.“ hat einen großen Beitrag bei der Aktion geleistet und für Kontaktvermittlung, Verbreitung der Informationen und Finanzierung des Transportes sowie den Abkauf der Schafherde von dem Bauern übernommen. „Ohne die Unterstützung des Vereins und dem Ausbildungszentrum wäre eine dermaßen große Aktion nicht machbar gewesen- wir mussten bei der Herde wirklich an unsere Grenzen gehen“, berichtet Nina Schönrock im SZ-Gespräch. „Es ist toll, wenn man in solchen Situationen Tierschützer aus ganz Deutschland um Hilfe bitten kann- immerhin lag uns diese Aktion besonders am Herzen“, erinnert sich die Ergotherapeutin. Und diese Einstellung gibt sie ihren Klienten und Jugendlichen im Therapiezentrum täglich mit auf den Weg: „Wir wollen, dass die therapierten Jugendlichen nicht wegsehen und weiterhelfen, wenn sie vermuten oder sehen, dass sich ein Tier in Not befindet“. Häufig geraten Tierbesitzer selbst in Schieflage, werden zu alt oder haben andere Probleme, worunter die Tiere zu Unrecht leiden müssen. Bevor es zu spät ist, appelliert Nina Schönrock daran, immer den Tierschutz einzuschalten, um sich rechtzeitig helfen zu lassen, bevor ein Tier leiden muss. Während bei Haustieren oft schneller gehandelt wird, müssen Nutztiere wie Schafe, Ziegen, Rinder oder Pferde bei Notlagen der Besitzer lange leiden und sind mangelhaften Zuständen in Ställen ausgeliefert. „Tierschutz funktioniert nur, wenn nach der Abholung der Tiere keine weitere Tierhaltung durch die ehemaligen Besitzer mehr stattfindet“, betont Nina Schönrock und weist auf kooperatives Verhalten und die Vernunft der Menschen hin. Aus Erfahrung weiß sie: „Leben ist immer lebenswert! Vollkommen egal, ob ein Schaf blind ist oder ein Hund nur drei Beine hat. Tierschutz ist immer eine Alternative zum Schlachter, darauf wollen wir die Menschen aufmerksam machen“.